DER FAHRENDE RAUM | Der Fahrende Raum, Aktionsraum „Magic Channel – Die Welt als Erzählraum“, 2019, Foto: Leo Heinik -
Der Fahrende Raum, Aktionsraum „Magic Channel – Die Welt als Erzählraum“, 2019, Foto: Leo Heinik

(English translation below)

Das Fanzine „Tilly’s Zauberlanden”, das im Rahmen des Aktionsraums SPAM (1) entstanden ist, zieht sich als Grundrauschen hinter allen Beiträgen durch die vorliegende Ausgabe der Flugschrift. Es handelt sich dabei um einen Remix des gedruckten Raums von Supermarktprospekten aus dem Jahre 2019, die unaufgefordert in den Briefkästen und auf den Stufen der Treppenhäuser landen. Mit den Mitteln der Collage eignen sich die beteiligten Kinder und Jugendlichen situativ die Ästhetik einer sie allgegenwärtig umgebenden Werbewelt an und verwandeln sie in visuelle Sprachbilder, in denen der Spaß an absurder Produktentwicklung und widersprüchliche Formen des Warenbegehrens in unverschämten Preisen kulminieren. Das Fanzine kann als erweiterte Form einer Spielstruktur gedacht werden, die Kinder und Jugendliche unmittelbar nutzen, um die Bilder und Eindrücke ihrer Umwelt in eigene Bildsprachlichkeiten zu übersetzen.

Im engeren Sinne zählen Spielstrukturen zu den letzten gemeinschaftlich und unkommerziell genutzten Anlagen im öffentlichen Raum (2). Im eigenverantwortlichen Spiel, das sie durch eine Gratwanderung zwischen Teilhabe und Mitgestaltung von und mit Kindern und Jugendlichen ermöglichen, spitzen sich die Konflikte um die Zurichtung des öffentlichen Raums zu. Nicht zuletzt stellt auch die mobile Behausung (Architektur) des Fahrenden Raums eine Spielstruktur und künstlerische Setzung im öffentlichen Raum dar, die als Basis auf Zeit dient, um gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen Begriffe des Öffentlichen im stadtteilspezifischen Kontext künstlerisch auszuhandeln.

Die Frage danach, wie Spielstrukturen temporär und in selbstermächtigender Weise Öffentlichkeit von und für Kinder herstellen können, hat uns in dieser Ausgabe der Flugschrift beschäftigt. Unter dem Titel “Aktionsräume. Kinder-Öffentlichkeit und Spielstrukturen” sind Beiträge verschiedener Autor*innen versammelt, die dieser Frage nachgehen. Sie erfahren eine Kontextualiserung durch die Einbettung in ausgewählte Kinderproduktionen aus den Aktionsräumen 2019 des Fahrenden Raums.

Jakob Jakobsen setzt sich in seinem Beitrag zur Bewegung der Freedom Schools von 1964 in Mississippi (USA) kritisch mit dem Versuch von Pädagog*innen und Aktivist*innen auseinander, im Wissen um eigene Privilegien solidarische Strukturen und Gemeinschaften mitzuerzeugen.

Madeleine Bernstorff zeigt ausgehend von KINDEROLYMPIADE (1972) und DAS OHR (1976), zwei Filmen, die im Rahmen der Pädagogischen Aktion entstanden sind, weitere Beispiele von Filmen auf, die selbstbestimmt von und mit Kindern gedreht wurden. Die Brache erscheint als zentraler Handlungsort, auf den die Disziplinierung keinen Zugriff hat und wo das Spiel beginnen kann.

In dem von Fari Shams geführten Interview mit Richard Dattner und Paul Friedberg, die als Architekten Abenteuerspielplätze im New York hauptsächlich der 1960–70er Jahre schufen, blicken die beiden anhand der eigenen Praxis auf die sukzessive Institutionalisierung von Spiel in den letzten Jahren zurück.

Grisi Ganzer, der als Kind Teil der Redaktion der Kinderzeitung Karussell war, reflektiert über seine Zeit als Kind in den freien Aktionen der Pädagogischen Aktion in München.

Gerd Grüneisl geht in seinem Beitrag auf unseren Aktionsraum „Café Größenwahn – Eine Künstler*innenkolonie“ ein, der im Herbst 2019 im Fahrenden Raum stattfand und in Teilen aktionspädagogische Methodiken der 1970er Jahre reinszenierte, aber auch ausgewählte Aspekte der Schwabinger Boheme abseits kanonisierter Stadtgeschichte performativ in freier Adaption beleuchtete.

Kinder und Jugendliche des Projektraums der Gruppe greater form in Leipzig, die mit prozess-offenen Formen der Zusammenarbeit experimentiert, haben für diese Ausgabe Produktionen beigesteuert. In diesen eigneten sie sich die sie umgebende Markenwelt in Form eigener textiler Setzungen an.

Ludwig Bader denkt über den Zusammenhang von Kritik und Zensur nach sowie über die Auswirkungen, die diese Feinde des freien Spiels auf die Lust zu Schreiben haben können.

Oskar Negts Text „Die Kinder-Öffentlichkeit“ dient in Leo Heiniks Beitrag als Ausgangspunkt zur Reflexion über die eigene Rolle als erwachsener Akteur im Aktionsraum MAGIC CHANNEL: Wie lässt sich die von Negt geforderte entschiedene Parteinahme für Kinder und Jugendliche verwirklichen?

Maximiliane Baumgartner reflektiert über die politisch-ästhetische Dimension von Materialität in Spiel- und Lernsettings, sowohl anhand historischer Beispiele als auch ausgehend von der eigenen künstlerisch-pädagogischen Praxis in der Konzeption von Spielstrukturen. Darin unterstreicht sie die Notwendigkeit, das Diktum der Sicherheit sowie seine politisch – hegemonialen Implikationen innerhalb städtisch-öffentlicher Lernsettings machtkritsch zu befragen.

(1) Der Aktionsraum SPAM (7.– 25. Juli 2019) wurde in Zusammenarbeit mit dem eingeladenen Künstler Marcel Ralle konzipiert.
(2) Die sogenannte Allmende

DER FAHRENDE RAUM | Der Fahrende Raum, Aktionsraum „Magic Channel – Die Welt als Erzählraum“, 2019, Foto: Leo Heinik -
Der Fahrende Raum, Aktionsraum „Magic Channel – Die Welt als Erzählraum“, 2019, Foto: Leo Heinik