(English translation below)
Hier ist nichts normal. Ein Bett im Freien? Eine Disko am Nachmittag? Chillen und Nichtstun. Gemeinsam krank feiern! Alles Open Air. Unter freiem Himmel. Wir bauen Kostüme: Tiere und Roboter, Fabelwesen, Anime’s, was ihr wollt! Neon und Glitzer! Perücken und Prothesen… Wir verkleiden uns und singen Karaoke! Wir posen und performen live on Stage und auf der Wiese. Wir humpeln und tanzen den Robotertanz! Und wir drucken unsere Einfälle auf Poster. All emotions tolerated … Kommt und bringt Eure Held_innen aus dem Kosmos Eurer Fantasie!
(aus der Einladung zur Cyborg Disko Werkstatt)
„Körper sind Landkarten voller Macht und Identität.“ (Haraway 1991, S.19). So beschreibt Donna Haraway, wie Vorstellungen über Cyborgs als way out dienen können – als Auswege aus dem Labyrinth von Dualismen, durch die wir uns unsere Körper und Instrumente vorstellen und erklären. Haraway geht es darum, über einengendes Sprechen, Denken und Handeln in Binaritäten (von z.B. männlich/weiblich, able/disable) hinweg zu kommen. Im Cyborg Manifesto denkt sie Körper als verflüssigt und partiell und entwirft ein „feministisches Sprechen im Plural“ mit dem Ziel „Maschinen, Identitäten und Kategorien zu bilden und zu zerstören“.

In den Cyborg Modus kommen … Roboter, Maschinen, Fabel- und Fantasiewesen bauen …
Neon Sch(m)inken
Auf Krücken gehen …
Für kränkere Moves …
Performance Ideen
Identitäten annehmen …
In Neon und Glitzer …
Nichts muss …
nicht immer produktiv sein müssen …
Hedonie, Müßiggang und im Freien Schlafen …
Sich was ausdenken …
Eine Auftrittsliste machen …
Mit dem Mikro in der Hand…
In der Rolle von Rocky Rock, MC K.rank …
Perücke auf, Publikum nimmt Platz …
Playback singen …
Sich wegen der Reihenfolge streiten …
Es stürmt und die Perücken werden klatschnass …
Der Hagel prasselt auf das Dach des Fahrenden Raums
Sich aufführen …

Die Cyborg Disko Werkstatt im Fahrenden Raum Freimann war eine Versuchsanordnung: den künstlerischen Aktionsraum selbst als Möglichkeitsraum zu verstehen, in dem plurale Identitäts- und Körperkonzepte verhandelt werden; performatives künstlerisches Handeln üben, um Normen zu verflüssigen; sich selbst erfinden, jenseits von binären Kategorien der Cyborg folgen …
Eine „transformierende Wahrnehmung (entsteht) beim Tanzen“, singt das Techno-Duo Orbital bei der Eröffnungsshow der Paralympischen Spiele 2012 durch den Vocoder. Popmusik war immer schon Ausdruck von Gegen- (Körper-) Normen und dementsprechend finden sich auch in der Bewegungsgeschichte der Behindertenrechtsbewegungen und radikalen Krüppelbewegungen weltweit radikale Performanceaktionen und provokante Interventionen, pride, posse und showing-off.

Die Aneignung des Begriffs Crip geht mit einer Bedeutungsverschiebung einher, einer Umwendung eines zuvor degradierenden Begriffs und dementsprechend auch der damit verbundenen Stigmatisierung. Crip als Kurzform hat seinen Ursprung im Englischen (cripple), das auf das deutsche Wort „Krüppel“ zurückgeht. Crip Theory ist ein Diskurskonzept, dass diese radikale Positionalität zum Ausgangspunkt von Gesellschaftskritik nimmt. Diesen widerständigen Tenor bringt Caitlin Wood folgendermaßen zum Ausdruck: „Crip findet Wohlgefallen in Dreistigkeit und völliger Verachtung ansehnlich für den Status Quo zu erscheinen. (…) Crip ist anti-assimilationistisch und stolz darauf. (…) Hier beginnt verinnerlichter Ableismus zu bröckeln.“ (Wood 2014, S.1f)
Als Hintergrund und eine Art Wandzeitung an den Wänden des Fahrenden Raums, fanden sich Poster aus dem Crip Magazine. Das Crip Magazine ist ein selbstorganisiertes Zeitschriftenprojekt. Es versteht sich als Kunstprojekt und Sammlung von Materialien zu Crip-Themen, Kunst- und Kulturproduktion. Die Beiträge eröffnen eine selbstbestimmte und ermächtigte Perspektive auf behinderte Verkörperungen und Realitäten. Das Magazin beinhaltet Beiträge, die Schmerz zum Thema haben und eine transformative Perspektive auf body-issues und körperliche soziale Beziehungen eröffnen.


Die Utopie einer Cyborg Disko hatte keinen Ort und musste sich einen erschaffen, eine Werkstatt – in progress. Aus dem Cyborg Manifesto nehmen wir mit: Konzepte und Begriffe sind in Bewegung und öffnen uns Denkräume. Wie zum Beispiel das Denken in Affinitäten, weg von monolithischen Identitäten hin zu sich verändernden Affinitäten (Koalitionen), wiederum von Donna Haraway: „Affinität statt Identität“. Affinität definiert Haraway als „eine Beziehung auf der Grundlage von Wahl, nicht von Verwandtschaft, die Anziehungskraft einer chemischen Gruppe für eine andere Begierde“ (Haraway 1995, S. 40).
Wir kommen uns näher. Es geht darum, einen Raum zu konstruieren, „der nicht mit Handlungen auf der Grundlage natürlicher Identifikation gefüllt werden kann, sondern nur aufgrund bewusster Koalition, Affinität und politischer Verwandtschaft.“ (ebd.) Um diesen Raum für Gemeinsamkeit und Zusammensein und Wahlverwandtschaften zu schaffen, braucht es Zugänge. Und das ist das, was Barrierefreiheit bedeutet: die materiellen und immateriellen Bedingungen unseres Zusammenseins… die Bedingungen, die uns in einem gemeinsamen Raum versammeln lässt… Barrierefreiheit zueinander, uns gegenseitig näher kommen. Eine Werkstatt „um Kategorien, Identitäten und Maschinen zu schaffen und wieder umzuwerfen”, in progress – der Cyborg folgend.


Notiz
Über das Setting der Cyborg Disko Werkstatt
– Ein Raum gefüllt mit Affinitäten Doris Koopmann und Maximiliane Baumgartner:
Der Fahrende Raum ermöglicht Barrierefreiheit in seiner Möglichkeitsperspektive als mobile Architektur, als offenes Programm für Kinder und Jugendliche und im Zusammenbringen verschiedener Ideen, Zusammenhänge und Materialien. Dabei geht es nicht um das Ansammeln verschiedener Identitäten sondern, wie Eva Egermann in ihrem Text schreibt, um Affinität, das gegenseitige Näherkommen, um eine, wenn auch kurzfristige, Wahlverwandtschaft. Es ist eine von den Kindern und Jugendlichen selbst getroffene Entscheidung an dem offenen Programm teilzunehmen.
An einem sonnigen Nachmittag beginnt das offene Programm im Fahrenden Raum und es sind wie immer regelmäßig teilnehmende Kindern da. Heute ist auch mal wieder Lara aus den Wohnblocks gegenüber mit dabei. Zwischen Lara und den anderen Kindern stellt sich eine kurzzeitige Wahlverwandtschaft ein, die sich in der gemeinsamen Bündelung der Energie der Kinder auf eine gemeinsame Sache bemerkbar macht. Der Nachmittag folgt einer symbiotischen Choreografie, einer individuellen, dann gemeinsamen Idee. Eine Geschichte entsteht.
Vor Ort finden die Kinder und Jugendlichen: eine Druckstation mit einer Freinet Presse, die ein schnelles Drucken mit Lettern ermöglicht. Holzstellagen im Inneren des Fahrenden Raums, auf denen die Kinder und Jugendlichen Kostüme aus dem Fundus von Kultur & Spielraum e.V. sowie selbst gebaute Kostüme und Prothesen aus Gips und Maschendraht, finden können, sowie weitere Requisiten wie Krücken, Helme, Perücken. Ein altes Metallbett, das mal unter dem großen Kletterbaum oder auf der Wiese als Requisite aber auch als Ort zum Ausruhen dient. Neben sämtlichen Verbrauchsmaterialien (Scherer, Kleber, Stempelkissen, etc.) ein Kopierer und zwei lange Tapeziertische. Es wird sich verkleidet, Fotos werden gemacht, es entstehen Seiten, Wörter und Sätze werden gedruckt. Jede*r hilft und jede*r ist irgendwie dabei. Am Ende haben wir eine gemeinsame Zeitung: Die Frau ohne Arbeit.
Literatur
Haraway, Donna (1991): Simians, Cyborgs and Women: the Reinvention of Nature: London / New York: Routledge.
Haraway, Donna J. (1995): Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen, Frankfurt am Main/
New York: Campus.
Wood, Caitlin (2014): Introduction – Criptiques: A Daring Space, in: Caitlin Wood (Hg.), Criptiques, Middletown DE: May Day Publishing, S. 1–3.
english translation
The Cyborg Disco Workshop
Eva Egermann
Nothing is normal here. A bed outdoors? A disco in the afternoon? Chilling and doing nothing. Calling in sick together! Everything in the open air. Under the open sky. We make costumes: animals and robots, mythical creatures, anime characters, whatever you want! Neon and glitter! Wigs and prostheses…We dress up and sing karaoke! We pose and perform live on stage and in the meadow. We hobble and do the robot dance! And we print our ideas on posters. All emotions tolerated … Come and bring your heroes out of the cosmos of your imagination! (From the invitation to the Cyborg Disko Werkstatt (Cyborg Disco Workshop), Munich Freimann 2018)
“Bodies are maps of power and identity” (Haraway 1991: 19). This is how Donna Haraway describes how cyborgs could offer a “way out” of the “dualisms in which we have explained our bodies and our tools to ourselves”.
Haraway’s aim is to come away from restrictive speaking, thinking, and acting in binaries (such as male/female, able/disabled.) In her Cyborg Manifesto, she refers to cyborgs as a way of imagining embodiment as fluid and partial, and outlines a “feminist speaking in tongues” with the aim to “both build and destroy machines, identities, and categories.”
Enter the “cyborg mode” …
Build robots, machines, mythical and fantasy creatures …
Ham (it up) in neon …
Walk on crutches …
For sicker moves …
Performance ideas
Assume identities …
In neon and glitter …
Nothing has to be …
To not always have to be productive …
Hedonism, idleness and sleeping outdoors …
Imagine something …
Make a list of stage appearances …
With the microphone in hand …
In the role of Rocky Rock, MC K.rank …
Wig on, audience takes a seat …
Mime along to the recording …
Argue about the order …
A storm rages and the wigs are drenched …
The hail pelts against the roof of Der Fahrende Raum
Perform …
The Cyborg Disco Workshop from July 6 to July 20 at Der Fahrende Raum in Freimann was an experimental arrangement. To understand the artistic space of action as a space of possibility in which plural concepts of identity and bodies are negotiated. Rehearsing performative artistic action in order to dissolve norms. Inventing oneself, to follow the cyborg beyond binary categories …
A “transforming perception (emerges) while dancing,” the techno duo Orbital sang using a vocoder at the opening ceremony of the Paralympic Games in 2012. Pop music has always been an expression of opposition to (bodily) norms, and, accordingly, radical performance art and provocative interventions, pride, farce, and showing-off can also be found in the history of disability rights movements and radical cripple movements worldwide.
The appropriation of the term Crip is accompanied by a shift in meaning, a reversal of a previously degrading concept and, accordingly, the associated stigmatization. “Crip” as a short form has its origin in the English “cripple,” which can be traced back to the German word “Krüppel”. Crip Theory is a discourse concept that takes this radical positionality as the starting point for social criticism. Caitlin Wood expresses this resistant tenor as follows: “Crip takes pleasure in its boldness utter disinterest in the status quo. (…) Crip is anti-assimilationist and proud of it. (…) This is where internalized ableism begins to crumble.”
Posters from Crip Magazine were installed as a background and a kind of wall display at Der Fahrende Raum. Crip Magazine is a self-organized magazine project. It is conceived of as an art project and a collection of materials on Crip topics, art and cultural production. The articles open up a self-determined and empowered perspective on disabled embodiments and realities. The magazine features articles about pain and that open up a transformative perspective on body issues and social relationships.
The utopia of a cyborg disco had no location and had to create one, a workshop—in progress. What we can take away from the Cyborg Manifesto: concepts and terms are in motion and open up thinking spaces for us. For instance, thinking in affinities, moving away from monolithic identities toward changing affinities (coalitions), to quote Donna Haraway once again: “Affinity instead of identity.” Haraway defines affinity as “relation not by blood but by choice, the appeal of one chemical nuclear group for another, avidity.” (Haraway 1991, p.155)
We are getting closer to each other. The aim is to construct a space “that cannot affirm the capacity to act on the basis of natural identification, but only on the basis of conscious coalition, of affinity, of political kinship” (op. cit. p.156) To create this space for community and togetherness and elective affinities requires various approaches. And that is what accessibility means: the material and immaterial conditions of our being together…the conditions that cause us to gather in a common space. Accessible to each other, getting closer to each other. A workshop to “create categories, identities, and machines and then overturn them again”—in progress—following the cyborg.